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Die Zeit des ersten Weltkrieges in Mumpf

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Der Ausbruch
Die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo löste den ersten Weltkrieg aus. Am 1. August 1914 beschloss der Schweizer Bundesrat die allgemeine Mobilmachung. Die Bundesversammlung bestimmte Ulrich Wille als General. Das Gemeinderatsprotokoll vom 11. August vermerkte ein „Cirkular betreffs Verbot von tragen von Schuss- und Stichwaffen“.

Gleichzeitig „wird anlässlich der Grenzbesatzung die eingeteilte Feuerwehr stark reduziert, so dass eine vorsorgliche Feuerwehr aus ältern Bürger und minderjährigen Knaben veranstaltet wurde und die diesbezügliche Einteilung der ganzen männlichen Bevölkerung unterbreitet.“
Die Mumpfer erlebten durch die Mobilisierung am 1. August eine „böse“ Überraschung, war doch alles für den Bundesfeiertag vorbereitet:
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„Sollte im August ein Waldfest ob dem Bahnwärterhäuschen abgehalten werden. Tische und alles andere war bereit, da brach am 1. August der Weltkrieg aus, ....“ (Aus der handschriftlichen Chronik im Gemeindearchiv)

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Schwere, genagelte Militärschuhe von Otto Waldmeier getragen im 1. Weltkrieg.
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Ein Mumpfer Soldat im Sonntagsurlaub im 1. Weltkrieg. (Aus dem Fotoarchiv Dorfmuseum Mumpf)
Die meisten Mumpfer leisteten ihren Dienst im Fricktal. Ab sofort erfolgte eine strenge Bewachung der Grenze am Rhein, dies jedoch ohne Befestigungsanlagen wie später im 2. Weltkrieg. 220’000 Schweizer Männer wurden damals in den Aktivdienst eingezogen. Zur Ausrüstung der Soldaten gehörte auch das Schuhwerk aus sehr hartem Leder und mit handgeschmiedeten Nägeln in der Sohle.

Schwieriges Leben an der Grenze
In Säckingen standen Textilfabriken, die von Schweizer Fabrikanten gegründet wurden und Hunderten Fricktalern Lohn und tägliches Brot boten. Doch mit Kriegsbeginn erfolgte die Schliessung des Betriebs der Rheinfähre Mumpf – Säckingen. Damit mussten die Arbeiter aus Mumpf, Obermumpf, Zuzgen und Zeiningen, so sie noch Arbeit hatten, ihren Fussweg über Stein und die Säckinger Holzbrücke nehmen. Dies bedeutete jedes Mal einen Zusatzweg von etwa 1,5 Kilometer.
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Der Weltkrieg stellte das Leben am Rhein auf den Kopf. Das Zusammenleben war grenzenlos: Fricktaler wohnten auf der deutschen Seite, Badische im Fricktal. So holte sich Zahnarzt Otto Frommherz die Mumpferin Marie Kaufmann zur Frau und erbaute hier zwei grosse Häuser. Auf der Schweizer Seite bezahlten die Menschen ihre Einkäufe im Laden eher mit Reichsmark als mit Franken. Diese menschlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Baden und Fricktal wurden durch die Grenzschliessung 1914 abrupt unterbunden. Wie gross die Verbundenheit war, zeigte sich in den Ausgaben der „Volksstimme aus dem Frickthal“. Die Kriegsopfer aus der badischen Nachbarschaft wurden regelmässig namentlich gemeldet, wie am 20. Oktober 1914:
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Wie angespannt die politische Lage war, zeigt der Bericht aus der „Volksstimme aus dem Fricktal“ vom 5. Dezember 1914, als zwei Mumpfer Fischer auf der Wache Säckingen verhaftet und grundlos drei Tage lang festgehalten wurden.
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Ein ganz kleiner Grenzverkehr war zwar weiterhin möglich, aber unter strengsten Kontrolle. Der Mumpfer Bauer und Besitzer des Hofes „Schönegg“, Johann Bretscher, hatte das Recht, Milch mit dem Fuhrwerk über die Grenze via Holzbrücke nach Säckingen zu fahren. Aus Obermumpf und Wallbach brachten die Bauern die nicht verkaufte Milch zum Mumpfer Bahnhof und übergaben sie Bretschers. Zusammen mit ihrer restlichen eigenen Milch verkauften sie das kostbare Gut den Bewohnern von Säckingen in der Nähe des Hutladens von Frau Stoll, wo Johann Bretscher noch eine eigene Liegenschaft besass. Sein Sohn Hans Bretscher, *1898 und als Aushilfe sein Bruder Fritz Bretscher *1901, übernahmen die Arbeit des Transportes.

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Banknoten: Wie aus 100 Mark 100 Billionen Mark wurden.
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Eine deutsche Briefmarke kostete Millionen von Reichsmark!
Nach dem Kriegsende fand die Familie Bretscher im Estrich eine Schachtel voll von Reichsbanknoten aus dem Milchverkauf – Milliarden von Mark – die jedoch rein nichts an Wert bedeuteten. Die Menschen erlebten während und vor allem nach dem ersten Weltkrieg eine Geldentwertung, wie sie noch nie vorgekommen war. Briefmarken kosteten nicht mehr 10 Pfennige, sondern plötzlich Millionen von Reichsmark.

Auch in der Schweiz setzte eine Geldentwertung ein.
Die Lebensmittelgeschäfte wurden in den ersten Kriegstagen regelrecht leer gekauft. Rasch machte sich ein Mangel an Nahrungsmitteln bemerkbar. Dadurch stiegen die Preise, was schlussendlich zur Verarmung und Unterernährung führte. Butter war 1918 doppelt so teuer wie 1914. In Möhlin kostete ein Kilo Kartoffeln 12 Franken. Zu spät wurden die Lebensmittel Brot, Mehl, Teigwaren, Kartoffeln, Zucker, Öl, Fett, Milch, Käse und Butter rationiert. Der Kanton Aargau gab Lebensmittelmarken für diese Grundnahrungsmittel ab. Es gab fleischlose Gerichte fast Tag für Tag, etwa Maccaroni mit Dörrobst, Weisse Bohnen mit Tomatensauce oder Polenta mit Birnen. Einige Zahlen lassen sich in der handschriftlich nachgeführten Chronik im Gemeindearchiv nachlesen: Die Brotration war eine zeitlang auf 220 Gramm pro Tag festgesetzt. Das Pfund Brot kostete 40 Rappen, der Liter Milch 42 Rappen, Pfund Butter 4.40 Fr., der Ster Holz 35 Franken.
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Anstieg der Detailhandelspreise 1914 – 1918 (Quelle Hist.Gesellschaft Kanton Aargau)

Zum Kriegsende lag die Schweiz sozial am Boden. Die Männer bekamen zwar ihren Sold für den Militärdienst. Doch der wurde sehr oft zu Alkohol umgewandelt und kam nie daheim in der Familie an. Der Hausfrau blieb die Arbeit im Betrieb, auf dem Feld und im Garten. Die Preise stiegen in den letzten Kriegsjahren stärker an als die Löhne.

1918 kam zu den wirtschaftlichen Problemen eine aussergewöhnlich heftige Grippewelle – die Spanische Grippe – hinzu, die auch im Fricktal Dutzende Tote forderte. Unter den Soldaten grassierte die Epidemie.

Der Mumpfer Albert Hurt starb an ihr beim Militärdienst auf dem Gotthard. Noch heute erinnert ein Grabstein auf dem Friedhof an ihn. Bis 1920 dauerte die Grippewelle an, das Zusammenleben und die Vereine waren auf Sparflamme.

Im November 1918 fand auch der Generalstreik statt. Die Arbeiter forderten mehr Rechte und bessere soziale Absicherungen. Als Folge wurde die 48-Stundenwoche eingeführt und in der Bundesverfassung die Grundlage für die AHV geschaffen.

Quellen:
- Historische Gesellschaft des Kantons Aargau
- www.kriegsnachrichten.ch
- Protokoll Gemeinderat Mumpf
- Handgeschriebene Chronik Gemeindearchiv Mumpf

Autor:
Gerhard Trottmann